Immer wieder stelle ich Ihnen hier Beispiele aus meiner Coachingpraxis mit Führungskräften und Leistungsträgern aller Ebenen vor, damit Sie ganz konkret erfahren, an welchen Themen ich mit meinen Klienten arbeite und wie mögliche Lösungswege aussehen können.
Heute geht es um folgendes Setting:
In einem großen Unternehmen gab es einen Wechsel an der Unternehmensspitze, verbunden mit einer Neuausrichtung. Strategien müssen allerdings erst noch erarbeitet werden, aus Sicht der Klientin hat die Unternehmensspitze aktuell scheinbar den Bezug zur Belegschaft verloren. Für meine Klientin hat das ziemlich heftige Konsequenzen:
Insgesamt fühlt sie sich in ihrer Position überfordert, die Mitarbeiter denken nicht mehr engagiert mit, die besten Kollegen haben das Unternehmen bereits verlassen oder stehen kurz davor. Die Klientin befindet sich nicht nur physisch, sondern auch psychisch in absolut alarmierendem Zustand. Wie so häufig, kommt ein Gang zum Arzt (Burnoutdiagnose) nicht in Frage. Das Projekt und natürlich der gute Kontakt zum Kunden haben ihr immer noch ein wenig Mut, Hoffnung und Perspektive gegeben, so dass sie irgendwie immer noch weiter gemacht hat. Sie denkt: „Es ist ja bald Jahresende, und im neuen Jahr wird alles besser – die Auszeit tut mir bestimmt gut.“
Höchste Zeit für eine Auszeit
Doch leider kommt es anders, im neuen Jahr geht es genauso weiter wie bisher. Sie sagt:
„Ich bin absolut kraftlos, mich interessiert gar nichts mehr. Wenn ich nach Hause komme, gibt es nur noch das Abendessen und dann ab ins Bett. Das Wochenende versuche ich zu nutzen, um runter zu kommen, aber meist gelingt mir das einfach nicht.“
Weil es wirklich kurz vor zwölf ist, ist schnelles Handeln jetzt wichtig. Zum Arzt will sie nicht gehen, denn sich krankschreiben zu lassen, lässt das Image nicht zu. Die Klientin fragt sich, was nachher eventuell in der Personalakte stehen könnte. Ob diese Befürchtungen berechtigt sind oder nicht, sie stehen erst einmal im Raum und müssen ernst genommen werden.
Und dennoch: Wir schaffen es, dass die Klientin für sich erkennt:
Ich muss die Notbremse ziehen, ich muss erst mal wieder auf die Füße kommen und eine Auszeit nehmen. denn wenn ich für mich keine Lösung finde, bin ich leider für mein Umfeld und auch mein Unternehmen keine tragende Säule mehr.
Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstverantwortung und weg von der Schuldzuweisung, die uns unsere Situation manchmal so sehr als „hilfloses Opfer“ erleben lässt. Die Klientin beschloss, für vier Wochen wegzufahren, ganz kurzfristig – und das, obwohl sie seit vielen Jahren kaum jemals länger als zehn Tage am Stück im Urlaub war. In ihrer Position gibt es keine festgeschriebenen Arbeits- oder Urlaubszeiten, sondern man geht davon aus, dass die Führungskräfte das irgendwie selbst regeln.
Erst mal raus aus dem Hamsterrad
Wir haben dann im nächsten Schritt ganz genau überlegt, was denn gewährleistet sein müsste, damit sie den Urlaub auch wirklich als „Entspannung und Auszeit“ genießen kann und nicht dasselbe Programm fährt wie sonst. So müsste für sie z.B. Folgendes gewährleistet sein: ein Land, in dem sie sich auskennt, das von der Kultur her der deutschen sehr nahe ist, wo es warm ist und selten regnet, mit Leuten in der Nähe, aber bloß keine Gruppenreise, und so weiter. Wir erstellten gemeinsam eine lange Liste und überlegten, wo und wie wir so etwas finden könnten. Interessanterweise dauerte es keine drei Tage bis meine Klientin genau das richtige gefunden hatte.
Und siehe da: Als sie den Kollegen und Vorgesetzten von ihrem Vorhaben erzählte, reagierte niemand argwöhnisch oder mit Vorwürfen. Fast kam es ihr so vor, als wäre das für die meisten schön längst „überfällig“ gewesen. Jetzt ist sie erst mal weg – ganz für sich, ganz mit sich.
Die Falle: Durchhalten um jeden Preis
Was man an diesem Beispiel schön sehen kann: Gerade die Leistungsträger und die richtig Guten, die es besonders gut machen wollen, für die anderen, für das Projekt, für das Unternehmen, geraten dabei schnell in eine Falle. Denn meist heißt ihre Lösung: durchhalten, die „Fehler“ der anderen kompensieren und noch mehr rackern, irgendwie die Kuh vom Eis ziehen, notfalls allein. Irgendwann kommt ein Punkt, wo dies nicht mehr bewusst oder rational wahrgenommen wird, die Wahrnehmung verzerrt sich, überall sind nur noch Probleme, auf die wir scheinbar keinen Einfluss mehr haben. Statt einem einzigen entgegenkommenden D-Zug rasen plötzlich 100 Lichter auf uns zu – 100 D-Züge, und scheinbar keine Ausweichmöglichkeit mehr.
Verbündete sind Mangelware
In diesem Fall habe ich immer mal wieder das Angebot der Unterstützung gemacht, was die Klientin annehmen konnte oder auch nicht. Ich sah meine Aufgabe vor allem darin, eine wirkliche Verbündete zu sein auf dem Weg zur „Entspannung“, was für sie ein neuer Weg und Prozess war.
Kommt Ihnen die Lösung vielleicht „extrem“ oder sogar „realitätsfern“ vor? Falls Sie in einer ähnlichen Situation wie meine Klientin stecken, möchte ich Sie gerne ermutigen: Sie sind nicht allein, ganz im Gegenteil, sehr viele der richtig guten Leistungsträger teilen diese Erfahrungen. Leider wird darüber kaum gesprochen – mit wem auch – und so schleppt man sich immer weiter und hofft darauf, dass es schon irgendwie gehen wird.
Meine Klientin hat für sich eine wichtige Entscheidung getroffen, und ich ermutige auch Sie: Sie dürfen (!) an sich denken.
Falls Sie Fragen haben oder einfach abklären möchten, ob und wie ich Sie unterstützen kann, schreiben Sie mir einfach eine Mail. Ich bin gespannt auf Ihre Einschätzung.
Sie hören lieber?
Hier geht es zur passenden Folge in meinem Podcast „Leben an der Spitze“:
Was tun bei akuter Überforderung im Job – RAUS AUS DEM HAMSTERRAD #117
Herzliche Grüße

Gudrun Happich
Bildquelle: Artbandido/flickr