Der Leistungsträger - Blog

„Mein Chef ist wahnsinnig cholerisch und bringt mich dabei immer mehr ins Stolpern. Ich habe Angst zu versagen.“ – so die erste Aussage meines Klienten, nennen wir ihn Frank, in unserem ersten Termin im Führungskräfte Coaching. Vor mir saß ein in sich zusammengesunkener Mann. Seinen Kopf hielt er gesenkt. Er wirkte nachdenklich, durchaus auch ängstlich – vor allem aber unsicher. Meinem Blick wich er aus. Würde man nur seinen beruflichen Lebenslauf lesen, so würde man eine andere Ausstrahlung erwarten. Eher einen erfolgreichen, vor Energie strotzenden jungen Mann, der seine Ärmel hochkrempelt und Projekte umsetzt. Eben einen, der aktiv unternimmt, gestaltet und anpackt. Das aktuelle Bild jedoch ist ein anderes. Ich frage Frank nach dem Grund für seinen Wunsch nach einem Termin für ein Führungskräfte Coaching bei mir und höre ihm aufmerksam zu, als er seine Geschichte erzählt.

„Ich habe Angst zu versagen und weiß nicht mehr weiter“

Vor wenigen Monaten wechselte er als Führungskraft in das aktuelle Unternehmen. Der Grund dafür war das Streben seinerseits nach neuen Herausforderungen und Aufgaben. Privat war bei ihm alles im Reinen und er würde in Kürze Vater einer kleinen Tochter werden. Auch aus diesem Grund war die Freude über die Jobzusage bei ihm und seiner Frau groß, da das neue Unternehmen näher an seinem Wohnort lag und sich dadurch beide etwas mehr gemeinsame Zeit erhofften. Alles schien perfekt und er war voller Tatendrang für seine neue Rolle.

Sein Start im Unternehmen war zu Beginn sehr angenehm: Er wurde sowohl vom Vorstand, als auch von seinen Kollegen sowie seinem Team herzlich empfangen und anerkannt. Einen Überblick über die ihm anvertrauten Aufgaben verschaffte er sich innerhalb kurzer Zeit und auch sein junges Team war von ihm überzeugt, ließ sich gut führen und begeistern. Seine Projekte und Ideen sowie die dazugehörige Umsetzung fanden anklang und hatten Erfolg – gemeinsam wurde in die gleiche Richtung gedacht und umgesetzt. Dabei hat er stets auf gegenseitige Wertschätzung und Transparenz im Team geachtet. Mit diesem Führungsstil lieferte er mit seinem Team gute Ergebnisse für das Unternehmen. Eigentlich konnte er sein Glück kaum fassen – auf dieser Ebene lief also auch alles gut.

„Zuerst habe ich an einen Ausrutscher, dann an eine Phase geglaubt“

Im Unternehmen gehören regelmäßige „Jour-Fixe-Gespräche“ dazu, in denen die Top Führungskräfte gegenüber dem Vorstand berichten, so auch bei Frank. Zu Beginn ist er mit seiner gewohnten Leichtigkeit in diese Termine gegangen, da seine bisherigen Ergebnisse immer den gesetzten Zielen sowie den Vorstellungen des Vorstands entsprachen. Er fühlte sich sicher. Jedoch bekam Frank schon mit, wie ein Vorstandsmitglied, welcher für seinen Bereich zuständig war, mit den Ausführungen anderer Führungskräfte innerhalb der gemeinsamen Meetings durchaus mal unzufrieden war und die Beherrschung verlor.

Kollegen wurden lauthals zurecht gewiesen.

Natürlich ohne jede Wertschätzung ihrer Arbeit und Ihrer Person gegenüber. In solchen Situationen hielten alle Anwesenden die Luft an, trauten sich kaum noch zu atmen – nur, um nicht auch noch in die Schusslinie zu geraten. Inhaltlich waren die Anschuldigungen seitens des Vorstandsmitglieds teilweise an den Haaren herbei gezogen. Die Ausbrüche waren völlig willkürlich und kamen aus dem Nichts, einfach unberechenbar. Diese Wutanfälle häuften sich innerhalb der Meetings immer mehr.

Wachsende Unsicherheit und Versagensangst

Die ursprüngliche Leichtigkeit von Frank verflüchtigte sich jeden Tag mehr und eine innere Unsicherheit wuchs von Tag zu Tag. Versagensangst stellte sich ein. Was wenn seine Ergebnisse plötzlich nicht mehr reichten und er der Nächste im Meeting ist, der die Wut des Vorstands abbekommt? Seine Gedanken kreisten oftmals nur noch darum. Er hatte Angst zu versagen und somit gleichzeitig die Tür für die öffentliche Demütigung innerhalb der „Jour-Fixe-Gespräche“ für den Vorstand zu öffnen.

Diese Angst lähmt ihn täglich.

Sowohl im Büro, gegenüber seinem Team, als auch privat. Er wusste einfach nicht mehr, was von ihm in seiner Rolle erwartet wurde. Er zweifelte an seinem Können und stellte alles in Frage. Projekte wurden innerhalb seines Teams nicht mehr klar kommuniziert und auch seine Energie für die Umsetzung der gesteckten Ziele war kaum noch vorhanden.

Die Leistungskurve ging für ihn steil nach unten.

Alles das, was zuvor für ihn völlig klar war, verschwamm immer mehr in seinen Gedanken. Das einzig Erfreuliche in dieser Situation war die Geburt seiner Tochter. Um etwas Abstand zu bekommen, seine Situation zu überdenken und neue Energie zu tanken, entschied er gemeinsam mit seiner Frau Elternzeit für sich und seine Tochter zu beantragen. In dieser Zeit wollte er auftanken und im Anschluss gestärkt in das Unternehmen zurückgehen. Diesen Punkt hat er gemeinsam mit dem Vorstand und der Personalabteilung besprochen und den Vorlauf von vier Monaten, hinsichtlich Planbarkeit im Unternehmen, festgestellt. Besprochen war auch, dass das Unternehmen die Elternzeit intern bekannt gibt – was für Frank in Ordnung war.

Seinem Team jedoch, welches ihm eng zuarbeitet und trotz allem nach wie vor hinter ihm steht, fühlte er sich zur Transparenz verpflichtet. Er mochte bei all dem nicht täglich mit ihnen zusammenarbeiten – wohl wissend, dass er in naher Zukunft längere Zeit nicht an ihrer Seite sein würde. Aus Loyalität informierte er seine engsten Mitarbeiter also entsprechend und empfand dies auch nicht als falsch.

„Die Wucht der Aggression hat mich getroffen.“

Wie es der Zufall so wollte hat der Vorstand auf Umwegen von Franks Gespräch mit seinem Team erfahren und ist schier außer sich. Schon als die Sekretärin bei Frank angerufen und ihn gebeten hat direkt beim Vorstandsmitglied zu erscheinen, ahnte er Böses. „Sie können sich Ihre Papiere abholen – so etwas Unverschämtes, mich so zu hintergehen, in dem Sie Ihr Team informieren. Das war anders ausgemacht. Was fällt Ihnen ein? Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind?“, schrie es ihm bei Betreten des Vorstandsbüros entgegen. Er sei ein Nichtsnutz, der in diesem Unternehmen keinen Blumentopf mehr gewinnen würde – dafür würde er sorgen.

„Sie leisten nichts, einfach gar nichts – auf Sie kann ich mich nicht mehr verlassen.“

Frank war sprachlos und verließ wortlos das Büro. Nicht nur, dass ihn die Wucht der Aggression in diesem Moment getroffen hat – die Wortwahl war für ihn unglaublich enttäuschend und auch verletzend. Trotz allem hatte er immer sein Bestes gegeben. Im ersten Moment hatte sich die Angst zu versagen für ihn bestätigt und er fühlte sich wie betäubt. Ab diesem Moment war er zunächst einmal von seiner Arbeit freigestellt und zu Hause. Ein paar Tage später hat er mich angerufen. So wie vom Mitglied des Vorstands beschrieben war er nicht, dessen war er sich nun sicher. Nur, wie geht man mit einer solchen Situation um? Das wollte er in meinem Führungskräfte Coaching für sich herausfinden.

„Gibt es überhaupt in dieser Situation einen Weg?“

„Was soll ich sagen? Nun sitze ich bei Ihnen und brauche eine Lösung für mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“, äußerte Frank. Seine Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben und wir beginnen zusammen zu arbeiten. Nach wenigen Wochen war Franks Leichtigkeit wieder deutlich spürbar und seine Körperhaltung aufrecht. Die zuvor gefühlte Angst zu versagen wich einem gestärkten Inneren und er gewann an neuer Präsenz. Mit dieser Energie suchte Frank aktiv ein Personalgespräch im Unternehmen und handelte für sich eine neue Position, fernab des vorherigen Vorstandsmitglieds, aus.

Liebe Leser: Es gibt für solche Situationen in der Arbeitswelt keine Lösungsschablone und danach ist wieder alles gut. Es wäre schön, wenn dies so schnell ginge. Vielmehr ist es so, dass wir im Führungskräfte Coaching individuell darauf schauen, welche Lösung für Sie bzw. in diesem Fall für Frank, möglich und damit auch umsetzbar ist. Der persönliche Weg hängt von individuellen Faktoren ab, die mit einbezogen werden wollen. So sind wir auch bei Frank vorgegangen und wir haben gemeinsam eine für ihn optimale Lösung gefunden. Noch heute sind wir locker in Kontakt und es geht ihm sehr gut, alle seine Lebensbereiche sind im Einklang. Das freut mich natürlich riesig und treibt mich in meinem täglichen Tun an.

3 Tipps, um nicht zu scheitern

Falls Sie solche oder ähnliche Situationen im Unternehmen kennen, möchte ich Ihnen gerne die folgenden Tipps ans Herz legen:

  1. Bleiben Sie in solchen Situationen ruhig und souverän. Damit machen Sie deutlich, dass Sie nach wie vor Herr der Lage sind und wüste Beschimpfungen an Ihnen abprallen.
  2. Sie werden durch die Beleidigungen Dritter sauer oder wütend? Das ist nur menschlich. Dennoch: Lassen Sie Ihren Gefühlen in solch ungünstigen Momenten nicht den freien Lauf, sondern gehen Sie aus der Situation oder atmen Sie tief durch, sofern Sie nicht aus der Situation können. Erst dann antworten Sie – ehrlich, klar und offen.
  3. Falls Sie mit einem bestimmten Kollegen immer wieder die gleiche Thematik haben, sprechen Sie diese direkt an – bleiben aber auch hier ruhig und souverän. Besteht die Thematik mit einem älteren Mitarbeiter immer wieder, dann empfehle ich Ihnen den Artikel „Gewinnen im Konflikt der Generationen“.

Ich drücke Ihnen für jede schwierige Situation die Daumen – es gibt immer Lösungen. Gerne erfahre ich von Ihnen, welchen Herausforderungen Sie sich im Arbeitsalltag stellen. Kennen Sie Situationen, wie Frank sie erlebt hat? Schreiben Sie mir gerne. Ich freue mich auf Ihre Antworten.

Sie hören lieber?

Hier finden Sie die passende Folge in meinem Podcast „Leben an der Spitze“:
Ich habe Angst als Top-Manager zu versagen! | RAUS AUS DEM HAMSTERRAD #64

Herzliche Grüße

Gudrun Happich

Gudrun Happich

Fotoquelle: iStock

Executive-Coach Gudrun Happich schreibt auch bei
CIO Magazine
Harvard Business Manager