Der Leistungsträger - Blog

„Fünf sitzen in China, drei in den USA, der Rest ist verteilt auf Österreich und Deutschland. Ich selbst bin quasi dauernd zwischen den einzelnen Standorten unterwegs und versuche dabei, das Team aus der Distanz zu führen.“ Im Executive Coaching hat vor Kurzem ein Klient – als Maschinenbauingenieur und Top-Manager bei einem Konzern – das Dilemma vieler moderner Führungskräfte angesprochen: Remote Leadership.

Wie soll man leiten und führen, wenn die Mitarbeiter über den Erdball verstreut sind und man fast nur noch virtuell mit ihnen kommuniziert?

Führen aus der Ferne oder Remote Leadership ist aktuell für alle international agierenden Unternehmen ein Thema. Und es wird künftig noch eine größere Rolle spielen.

Achtung! Sie denken bei Remote Leadership sofort an das internationale weltweite Führen? Dann habe ich eine Überraschung für Sie: Für Remote Leadership, Führen auf Distanz oder auch Führen aus dem Home Office braucht es manchmal nur das Nebengebäude, das benachbarte Stockwerk oder den Standort gerade um die Ecke.

Was bedeutet Remote Leadership?

So eine echte Definition gibt es für diesen Begriff nicht. Wikipedia formuliert unter „virtuelles Team“:

Menschen, die über regionale, nationale und kulturelle Grenzen sowie Zeitzonen hinweg zusammenarbeiten.“

Wir können Remote Leadership also auch folgende Bedeutung geben: Es ist das Führen eines virtuelles Teams aus der Ferne. Ferne kann dabei z.B. mit verteilt oder standortübergreifend übersetzt werden.

Doch um was geht es denn nun genau, wenn wir Remote Leadership einordnen wollen? Für meine Begriffe ist das Entscheidende, dass Sie Ihr Gegenüber, sei es der Mitarbeiter, der Kollege oder auch der Vorstandsvorsitzende, physisch nicht sehen. Sie befinden sich also in einem räumlichen Abstand – egal ob 2 m oder 20.000 km.

Was sind die Herausforderungen bei Remote Leadership?

Wenn ich hier über Remote Leadership spreche, möchte ich dabei erwähnen, das dieses Phänomen keinesfalls neu ist. Viele Führungskräfte glauben, dass mit Einführung des Home Office erstmals Remote Leadership wichtig wurde. Keinesfalls. Bereits vor über 20 Jahren – damals gab es weder Corona noch das Smart-Phone – war ich in einem Unternehmen als Mitglied der Geschäftsleitung für über 1.000 Mitarbeiter im Raum DACH verantwortlich. Diese Mitarbeiter führte ich zu einem überwiegenden Teil aus der räumlichen Ferne – also remote.
Ich bemerkte schnell, dass sich mir einige Probleme stellten, die mir aus der klassischen Vor-Ort-Führung unbekannt waren.

Aus meiner Erfahrung heraus sind die größten Herausforderungen bei der Führung aus der Ferne:

  1. Wie behalte ich Kontakt zu den Mitarbeitern?
    Im normalen „Office“-Alltag laufe ich dem Mitarbeiter immer mal wieder über den Weg, sei es auf dem Flur oder in der Kantine. Das kann auch ganz zufällig erfolgen. Hier kann ich alleine durch Blickkontakt den Kontakt behalten. „Zufällig“ findet bei Remote Leadership gar nichts statt.
  2. Wie „kontrolliere“ ich meine Mitarbeiter?
    Viele Führungskräfte glauben Ihre Mitarbeiter kontrollieren zu können, wenn sie durch die Mitarbeiterbüros schlendern und auf die Monitore schauen. Auch der Besuch in der Raucherecke oder Kaffeeküche scheint der Führungskraft das Gefühl der „Kontrolle“ zu geben, um sich davon zu überzeugen, dass hier immer wieder die gleichen Mitarbeiter anzutreffen sind.
  3. Wie schaffe ich eine Team-Atmosphäre?
    Wenn sich die Mitarbeiter im gleichen „Groß-Raum-Büro“ oder gleichen Gebäude befinden, braucht es evtl. 1 – 2 x pro Jahr einen Team-Event, der Rest läuft von alleine. Wie gelingt denn das remote?
  4. Wie erhalte oder steigere ich die Mitarbeitermotivation?
    Im „normalen“ Business-Alltag sehe ich meistens schon im Gesicht des Mitarbeiters, wie seine Laune und Befindlichkeit ist. Schnell können Sie ihn als Führungskraft ansprechen und eine „Lösung“ finden. Hier ist die Steigerung der Mitarbeitermotivation ein „Kinderspiel.“ Wie soll das denn remote funktionieren?
  5. Wie sichere ich die Leistungsfähigkeit bzw. Produktivität?
    Diese zentrale Frage stellen Sie sich als Führungskraft dauernd. Bitte denken Sie dabei nicht an Gehaltserhöhung und Bonuszahlungen. Bei einem grundsätzlich fairen Gehalt, dienen diese „Führungsinstrumente“ sowohl offline als auch remote lediglich nur als kurzes Strohfeuer der Leistungssteigerung.

5 Tipps, wie Remote Leadership funktioniert

1. Spielregeln der Führung klären

Machen Sie sich bewusst: Je klarer und eindeutiger Sie vorleben, was Sie von Ihren Mitarbeitern erwarten, um so leichter werden diese Ihnen „folgen“. Überlegen Sie sich bitte die für Sie wichtigsten 5 – 7 „Spielregeln“, die für Ihre Führungsarbeit gelten.

Ein paar Beispiele:
1. Fehler kommen vor – aber wenn ich einen Fehler mache, kommuniziere ich diesen frühzeitig und proaktiv. Dieses Verhalten stärkt das Vertrauen (Im Gegensatz dazu, wenn Fehler vertuscht werden und dann „durch Zufall“ entdeckt werden).
2. Als Mitarbeiter bin ich „Problemlöser für den Chef“. Diese Haltung bedeutet: wenn ich als Mitarbeiter ein Problem sehe, überlege ich mir zwei Lösungsideen, mit denen ich zu meinem Chef gehe. In einem Gespräch bitte ich diesen dann um eine Entscheidung.

Überlegen Sie sich 5 – 7 Spielregeln, die dann für ALLE Mitarbeiter gelten – ausnahmslos.

Die Erfahrung zeigt, dass diese (wenigen) Spielregeln den Zusammenhalt und die Verlässlichkeit der Mannschaft fördern. Sie werden feststellen: Wenn den Mitarbeitern Ihre Erwartungen und Umgangsformen klar sind, werden Sie viel weniger „unnötige Diskussionen“ in der Mannschaft haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass allein diese „ausgesprochenen Spielregeln“ die Mitarbeitermotion und Produktivität erhöhen. Warum? Weil sich Ihre Mitarbeiter an Ihnen orientieren können. Ebenso wissen die Mitarbeiter, dass sich auch die Kollegen daran halten. Die Verlässlichkeit innerhalb des Teams nimmt deutlich zu.

2. One-to-One Mitarbeiter-Gespräche

Im „normalen“ Führungsalltag führen Sie hoffentlich in regelmäßigen Abständen persönliche Gespräche mit den Mitarbeitern, nennen Sie sie 1:1, face-to-face oder auch one-to-one-Gespräche. Es handelt sich immer um das Gleiche. Dabei ist unerheblich, wie oft oder wie lange Sie diese führen. Das Entscheidende ist, dass Sie sie regelmäßig führen. Bei vielen meiner Klienten sind das entweder Gespräche im wöchentlichen oder auch zweiwöchentlichen Rhythmus. Die Dauer reicht von 0,5 bis 2 Stunden. Verhandeln Sie dies bitte gerne mit Ihrem jeweiligen Mitarbeiter. Wenn Sie hier einen Rhythmus und eine Form finden, die für beide Seiten passt, ist das sehr hilfreich und drückt Ihre Wertschätzung dem Mitarbeiter gegenüber aus.

Nutzen Sie die immergleiche Agenda.

Abwechslung ist gut. Allerdings nicht, wenn es um regelmäßige Mitarbeitergespräche geht. Hier ist Konstanz und vor allen Dingen eine immer gleiche Struktur sehr hilfreich. Diese sich regelmäßig wiederholende Agenda hilft allen Beteiligten sich auf das Gespräch vorzubereiten. Folgende Fragen haben sich dabei bewährt:

1. Was war Ihr Ziel von letzter Woche?
2. Was hat geklappt? Was hat nicht geklappt?
3. Wo brauchen Sie meine Unterstützung?
4. Was ist Ihr Ziel bis zum nächsten Mal?

Diese Gespräche können Sie genauso gut remote, online und virtuell führen. Das Grundgerüst dieses Gesprächs können Sie 1:1 übertragen. Glauben Sie mir: Diese persönlichen Mitarbeitergespräche sind das A und O, wenn Sie aus der Ferne erfolgreich führen wollen. Allein mit diesem Führungsinstrument erhalten Sie den regelmäßigen Kontakt zu Ihren Mitarbeitern, Sie behalten den Überblick, bzw. die „Kontrolle“ und natürlich ist dies auch hilfreich für die Leistungsfähigkeit und Produktivität.

Ein kleiner Tipp aus der Trickkiste.

Als Mitglied der Geschäftsleitung habe ich darauf geachtet, dass der Mitarbeiter den Kontakt gesucht hat, sprich er hatte mich angerufen. Er hatte ein vorher definiertes Zeitfenster, was ich mir exklusiv für ihn und seine Anliegen reserviert habe. Es lag in SEINER Verantwortung dieses Zeitfenster zu nutzen. Im Zeitalter von Microsoft Teams oder Zoom lassen Sie doch den Mitarbeiter das Online-Meeting einstellen. Sie glauben gar nicht, wie effektiv sich diese Maßnahme auf die Zuverlässigkeit von Meetings und auf die Motivation auswirkt.

3. Remote Leadership – Wir-Gefühl schaffen

Klar ist: So wie früher in der mehr alten als guten Command-and-Control-Zeit wird es nicht mehr gehen. Gerade dort, wo Tausende Kilometer zwischen den Teammitgliedern liegen, ist es Ihre Aufgabe als Führungskraft, ein Wir-Gefühl zu schaffen, dem einzelnen Mitarbeiter das Gefühl zu geben, ein wichtiger Teil eines sinnvollen Ganzen zu sein, Konflikte führzeitig zu erkennen und zu lösen, das Potential von Menschen zu erkennen, es zu fördern und sie am richtigen Platz einzusetzen. Das alles sind Aufgaben, die ganz viel mit sozialer Kompetenz und Empathie zu tun haben. Gleichzeitig sind bei global genauso wie bei regional verteilten Teams Klarheit und Eindeutigkeit essentiell – dazu wiederum braucht es durchaus Qualitäten der klassischen Führungskraft. Wenn ich jetzt von Führungskraft spreche fühlen Sie sich bitte auch als Vorstand, Geschäftsführer und C-Level angesprochen.

4. Führungskultur, die auf Vertrauen basiert

In dem Welt-Artikel „Management by Fernsteuerung“ werden die unterschiedlichen Anforderungen an eine moderne Führungskraft recht gut beschrieben. Die größte Herausforderung dabei? Das Erlernen neuer Management-Methoden? Mit der Technik klarkommen? Nein. Am wichtigsten ist der Paradigmenwechsel von einer Führungskultur, die auf Kontrolle basiert, hin zum vertrauens- und wertebasierten Führen.

So war es auch bei dem oben genannten Klienten, der sich mit dem Loslassen, dem Vertrauen, anfangs echt schwer tat und es Schritt für Schritt lernen musste. Heute kann er sich aber gar keine andere Art des Führens mehr vorstellen.

5. Teamatmosphäre durch Offline-Meetings schaffen.

Bei aller Begeisterung für Remote Leadership: Die Teamatmosphäre leidet sehr schnell. Begegnung zwischen Menschen bzw. im Team ist für die Teamatmosphäre einer der entscheidenden Faktoren. Es gibt genügend Führungskräfte, die behaupten: „Beziehung bzw. Begegnung zwischen Menschen ist remote oder online nicht möglich.“ Das würde ich so nicht unterschreiben. Allerdings stimme ich der Aussage zu: „Wir brauchen auch den physischen Kontakt im Team – live und in Farbe.“

Hier gibt es meiner Erfahrung nach keine Regel. Sie dürfen den geeigneten zeitlichen Abstand ausprobieren und in Erfahrung bringen. So hat ein Unternehmen, das komplett online aufgestellt ist, herausgefunden, dass ein zeitlicher Abstand von 6 – 8 Wochen ideal ist. Alle Mitarbeiter des Unternehmens treffen sich ca. alle 6 Wochen physisch jeweils am Headquarter vor Ort. Diese Zeit nutzen sie um die Teamatmosphäre wieder zu stärken.

Bei einer Klientin von mir – Finanzvorständin – hat sich folgendes Ritual entwickelt: Einmal im Monat besucht sie jeden Standort. Sei es in China, Australien oder in den USA. Sie liebt es zu Reisen und hat das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. So gewinnt sie in regelmäßigen Abständen einen aktuellen Vor-Ort-Eindruck, darüber hinaus drückt Sie den Mitarbeitern durch diesen Besuch Ihre Wertschätzung aus. Zu guter Letzt reduziert sie die Reisekosten enorm.

Wie lange braucht es bis Führung aus der Ferne – Remote Leadership – funktioniert?

Die ersten Schritte sind leicht getan. Doch bis sich diese neue „Führungskultur“ eingespielt hat, kann es von ein paar Monaten bis hin zu ein paar Jahren dauern. Nehmen Sie sich Zeit, holen Sie immer wieder Feedback bei Ihren Mitarbeitern ein. Experimentieren Sie gemeinsam bis Sie einen Führungsstil entwickelt und gefunden haben, der zu den gewünschten Ergebnissen führt UND die Mitarbeitermotivation steigert.

Sie hören lieber?

Hier geht es zur passenden Folge aus meinem Podcast „Leben an der Spitze“:
Remote Leadership – 5 Tipps wie Sie aus der Ferne führen | RAUS AUS DEM HAMSTERRAD #126

Herzliche Grüße

Gudrun Happich

Gudrun Happich

Fotoquelle: © Depositphotos #11796683 ©HASLOO

Executive-Coach Gudrun Happich schreibt auch bei
CIO Magazine
Harvard Business Manager