Der Leistungsträger - Blog

Vor einiger Zeit kam Marcus P., eine erfolgreiche Führungskraft, in mein Kölner Büro mit einem interessanten Coaching-Anliegen: Er war mit seinem Chef immer sehr gut klargekommen, sie hatten ein sehr offenes Verhältnis. Nun war der Vorgesetzte befördert worden, Marcus P. war ebenfalls aufgerückt. Sie hatten einen Gesprächstermin zu einem wichtigen Projekt.

Als Marcus P. ins Büro seines Chefs kommt, sieht er, dass dieser bereits einen Zettel vor sich liegen hat, auf dem er die Themen notiert hat, die er mit ihm besprechen möchte. Marcus P. aber fällt gleich mit der Tür ins Haus, wie er das bisher gewohnt war: Das neue Projekt, das ginge einfach gar nicht, da könne man sich gleich begraben lassen.

Großer Fehler! Sein Chef schaut ihn verwirrt an, murmelt noch ein paar Worte und schickt Marcus P. wieder weg, weil er noch einen wichtigen Termin habe. Marcus P. ist natürlich völlig verunsichert im weiteren Umgang mit seinem Vorgesetzten und versteht gar nicht, was eigentlich los war.

„Souverän fühlt sich wirklich anders an“, sagt er mit einem eher kläglichen Lächeln.

Was also war da passiert?

Der Vorgesetzte von Marcus P. war befördert worden und liebäugelte mit einem Vorstandsposten. Allerdings wusste er, dass er sich dafür noch ein paar Sporen verdienen musste. Und leider hatte er sich zu diesem Zweck genau das Projekt ausgesucht, das Marcus P. torpediert hatte.

Ohne es zu ahnen, hatte Marcus P. also seinem Chef sozusagen „vors Knie getreten“. Er hatte unaufgefordert dessen absolutes „Lieblingsbaby“ kritisiert – und das ist wirklich ein böser Faux-pas.

Hidden Agenda erkennen

Marcus P. verstand zunächst nicht, dass sein Chef nach seiner Beförderung nun nach den Spielregeln des Topmanagements agierte. Ist es im mittleren Management noch ganz normal, offenes und direktes Feedback zu geben, wird das in der Topetage häufig als Affront aufgefasst – es gehört sich einfach nicht. Und seinen Vorgesetzten oder dessen Projekte direkt zu kritisieren, ist nicht nur taktisch ungeschickt. Weil Marcus P. darauf nicht genügend achtete, hätte er sich beinahe ins Aus gekickt.

Den Erfolg des Vorgesetzten mitdenken

Wie konnte Marcus P. diese verfahrene Situation noch retten? Wir analysierten gemeinsam, was dem Chef wichtig war: Er wollte mit dem Projekt Punkte sammeln. Konnte Marcus P. ihn dabei unterstützen? Sah er überhaupt eine realistische Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen?

Schnell wurde klar: Das Projekt konnte durchaus erfolgreich sein, aber nur dann, wenn sich einige Parameter änderten.

Indirekte Einflussnahme

Marcus P. nahm einen neuen Anlauf. Statt wie beim letzen Mal mit der Kritik am Projekt zu starten, wählte er nun folgenden Weg: Er formulierte zunächst die gute Idee des Projekts und zeigte den möglichen Erfolg auf, und was das für den Chef und die Abteilung bedeuten würde. Erst danach arbeitete er heraus, dass es unter den gegebenen Umständen schwierig sei, dieses Ziel zu erreichen. Ob er ein paar Ideen vorschlagen dürfe?

Natürlich durfte er. Marcus P. formulierte sodann seine Vorschläge und überließ seinem Chef die Entscheidung. Dieser fühlte sich nun gut unterstützt und genehmigte die von Marcus P. favorisierte Vorgehensweise.

Mein Klient konnte nun in seinem Sinne agieren.

„Ich fühle mich deutlich souveräner, weil mir klar geworden ist, unter welchen Bedingungen hier oben gespielt wird. Jetzt kann ich mit meinem Ideen wesentlich selbstbewusster auftreten.“

Souveränität ist ein oft genanntes Ziel für ein Coaching. Wer sich auf den höchsten Führungsebenen bewegt, muss daher die Rahmenbedingungen des Topmanagements kennen und sich darin sicher fühlen. Dann kann man auch hier seine Vorstellungen verwirklichen – und darin besteht schließlich wahre Souveränität.

Wie sehen Sie das? Können Sie in Ihrem Kontext souverän agieren?

Executive-Coach Gudrun Happich schreibt auch bei
CIO Magazine
Harvard Business Manager